BLOGWie eine soziale Phobie entsteht

Wie eine soziale Phobie entsteht

Oder: wie man das Selbstvertrauen eines Menschen restlos zerstört

Soziale Phobie - Ursachen

Im Beitrag „Soziale Phobie – Der Weg aus der Angst“ habe ich beschrieben, was eine soziale Phobie überhaupt ist, und wie man dieser entkommen kann. Von einigen Menschen, die kein Problem mit ihrem Selbstvertrauen haben, wurde ich gefragt, wie es überhaupt dazu kommen kann. Für diese Menschen, aber auch für Betroffene, die noch auf der Suche nach der Ursache ihres Leidens sind, habe ich diesen Beitrag geschrieben.

Vorwort

Eine soziale Phobie (soziale Ängste) ist nicht angeboren, sondern angelernt. Einige Menschen sind dafür anfälliger und einige weniger. Erwachsene denken oft viel zu kritisch, daher sind diese nur dann ein geeignetes „Opfer“ für eine soziale Phobie, wenn deren Selbstvertrauen bereits deutlich „angeknackst“ ist. Perfekt funktioniert es hingegen mit kleinen Kindern, die noch über keine Erfahrungen und Vergleichsmöglichkeiten verfügen. Diese nehmen jede Information, die sie von uns erhalten, ungefiltert auf.

Üblicherweise sind nur wenige Personen der Auslöser für eine soziale Phobie. Im Beispiel meiner Geschichte war es hauptsächlich meine Mutter, die diese Entwicklung begünstigte. Sie selbst litt unter einer leichten Zwangsstörung und war daher immer ein richtiges Arbeitstier. Sie war nicht aufzuhalten, bis sie wegen eines körperlichen und nervlichen Zusammenbruchs ausgebremst wurde – ähnlich einem Zustand, den wir heute als Burn-out kennen. Vom nervlichen Zusammenbruch hat sie sich nie wieder vollständig erholt, und das sollte ich während meiner Kindheit erfahren.

Alles muss sauber aufgeräumt sein

Für meine Mutter musste immer alles ordentlich, sauber und aufgeräumt wirken. Zum einen, um ihr Ordnungsbedürfnis zu befriedigen, zum anderen, damit eventuelle Besucher keinen schlechten Eindruck erhielten. Habe ich als Kind während des Spielens die Teppichfransen oder sogar Zierkissen durcheinandergebracht, so musste ich mir lautstarke Zurechtweisungen anhören. Dafür, dass solche Dinge eben während des Spielens passieren können, hatte sie kein Verständnis. Unordnung konnte sie in den Wahnsinn treiben!

Ich nehme einen Strick und hänge mich auf

Ich nehme einen Strick und hänge mich aufWenn sich meine Mutter in Streitigkeiten nicht mehr zu helfen wusste, dann schrie sie:Mir reicht‘s. Ich nehme einen Strick und hänge mich auf!“ Danach verließ sie meist weinend das Zimmer. Dass ich aufgrund dieser Drohung ebenfalls immer wieder weinen musste, hat sie vermutlich nie mitbekommen. Eine solche Drohung, die für uns Erwachsene schon bedenklich ist, kann bei einem Kind unvorhersehbare Folgen haben. Tatsächlich verfehlte sie ihre Langzeitwirkung nicht: Die Angst vor dem Verlust der Mutter durch Suizid durch meine Schuld wuchs immer mehr.
Ersatzweise drohte sie mit: "Ich gehe fort und komme nie mehr wieder."

Ohnmächtig vor Wut

Wenn meine Mutter sich nicht mehr zu helfen wusste, wurde sie aggressiv und schrie mich an. So hatte ich schon von klein auf an gelernt, dass Schreien offensichtlich das letzte Mittel ist, mit dem man sich doch noch durchsetzen kann. So war ich, bald ebenfalls nervlich angespannt, bereits im Volksschulalter bei der gleichen Nervenärztin wie sie. Von der Ärztin bekam ich das, was kleine Kinder in dieser Situation unbedingt „brauchen“: Tabletten.

Wut und GeschreiDiese machten die Situation jedoch nicht besser, denn die Klassenkollegen stellten einfach fest: Jetzt hat er die Tabletten genommen, dann können wir ihn wieder ärgern.

Später habe ich das von meiner Mutter gelernte umgesetzt, indem ich, bei einer in Diskussionen drohenden Niederlage, ebenfalls aggressiv wurde, um mich so doch noch durchsetzen zu können.

Kannst du nichts richtig machen?

In den Schulferien habe ich meiner Mutter geholfen, die in der Urlaubszeit Zimmer an Sommergäste vermietete. Ich servierte das Frühstück, half dabei die Zimmer sauberzumachen und verdiente dafür etwas Geld dazu. Yeah!

Doch auch hier zeigte sich wieder der Ordnungszwang der Mutter: „Das ist nicht sauber. Jetzt muss ich es selbst machen. Wozu hilfst du mir überhaupt?“ War es sauber? Ja! Waren die Qualitätskriterien erfüllt? Nein! Mein Selbstwertgefühl? Null!

Das umgefallene Tintenfass

Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der Fotos noch auf Papier entwickelt und in Fotoalben geklebt wurden. Mein Vater hat diese Tätigkeit sehr liebevoll durchgeführt. Während dieser Zeit habe ich ihm zugesehen, mich auf den Tisch gesetzt und etwas gelangweilt herumgespielt.

Ursache: Wie eine soziale Phobie entsteht

Bis, ja bis ich versehentlich das offene Tintenfass umgestoßen habe, in das mein Vater immer wieder seine Schreibfeder eingetaucht hat. Die Tinte ergoss sich über den Tisch und Teile des Albums. Natürlich war mein Vater verärgert und tat ausnahmsweise etwas, womit nicht einmal meine Mutter einverstanden war: Er hielt dieses Malheur für die Zukunft im Album fest.

Dies hat Rudi am 14.2.1972 gemacht, weil er nicht folgen wollte und auf dem Tisch saß.

Die kaputte Hose

In meiner Kindheit trug ich selten Jeans oder leichte Kleidung, sondern „feinere“ Klamotten, wie Anzughosen und Hemden. Diese trug ich nicht nur in der Schule, sondern auch beim Spielen im Garten. Bis ich eines Tages während des Laufens stürzte und am Knie ein großes Loch in der Hose klaffte.

Mein Vater war sichtlich verärgert, nähte das Loch in der hellgrauen Hose mit reichlich schwarzem Faden zu. Die ursprünglich wirklich schöne Hose sah aus wie aus dem Besitz eines Bettlers. Für daheim war diese trotzdem noch sehr brauchbar. Doch ich musste die Hose auch weiterhin in der Schule tragen. Selbstverständlich haben sich die Klassenkameraden darüber lustig gemacht

Wie man Jugendliche blamiert

Kamen Freunde der Eltern zu Besuch musste meine Mutter ihnen unbedingt Geschichten von mir erzählen, die zwar schon jahrelang zurücklagen, aber dennoch nichts an Peinlichkeit verloren hatten. Weil das aber nicht genug war, musste sie diese noch mit meinem Babykosenamen kombinieren.

Sie fand es süß und lustig. Ich nur peinlich. Gut, dass diese Freunde nicht sehr oft zu Besuch kamen. Ich hätte mich sonst noch viel öfter schämen müssen …

Die Macht der Lehrer

Eines Tages in der Volksschule beschloss meine Klassenlehrerin, dass wir in Zweiergruppen aus einem Buch lesen sollten, und bestimmte dafür eine neue Sitzeinteilung. Mir wurde ein Klassenkamerad zugeteilt, der mir nie sympathisch war. Heute weiß ich nicht einmal mehr warum, aber es war eben so.

Mit dieser Zuteilung fühlte ich mich so unwohl, dass ich allen Mut zusammennahm und nach vorne zur Klassenlehrerin ging. Äußerst nervös beschrieb ich mein Problem, sodass die Klasse mich nicht hören, aber sie mich trotzdem verstehen konnte. Die Reaktion überraschte mich …

„Klasse hergehört! Wisst Ihr, was Rudolf gerade zu mir gesagt hat? …“. Ich musste also nicht nur trotzdem mit dem erwähnten Schulkollegen zusammensitzen und lesen, sondern wurde auch vor der ganzen Klasse bloßgestellt.

Die Idee der Lehrerin war, die Toleranz zu fördern. Doch in diesem Fall passierte das auf Kosten meines Vertrauens in sie. Heute habe ich wieder gelernt, dass nicht jeder mit jedem Menschen auskommen muss. Trotzdem können wir einfach in Frieden nebeneinander leben. Die damalige Demütigung hat sich jedoch dauerhaft in mein Gehirn „eingebrannt“.

Sicherheitsabstand zur Busstation

Mobbing in der Schule (Hänseleien)Als ich später in die Hauptschule ging, musste ich mit dem Bus dorthin fahren. Um den inzwischen recht häufigen Hänseleien durch die Mitschüler zu entgehen, wartete ich nie direkt an der Haltestelle, sondern in einiger Entfernung auf den Bus. Als er dann kam, lief ich schnell, um ihn noch rechtzeitig zu erreichen und einsteigen zu können. Natürlich blieb das nicht unbemerkt, und so erhielt ich den Tipp: „Zeig einfach, dass dir das nichts ausmacht. Dann hören sie von alleine wieder auf“. Mit meinem inzwischen nicht mehr vorhandenen Selbstwertgefühl hatte ich jedoch keine Ahnung, wie ich das schaffen sollte. Der Ratschlag war für mich also völlig wertlos.

Es ist egal, was du sagst: Es ist immer falsch

Solange ich ständig so eingeschüchtert war, ist mir nie aufgefallen, was sonst um mich herum passierte. Einiges habe ich erst bemerkt, nachdem ich gelernt hatte, normale Gespräche mit anderen Menschen zu führen. Ich habe es erst bemerkt als mir auffiel, dass mir andere zuhören und auf meine Meinung Wert legen.

Denn das war etwas, was meine Mutter nie tat. Meistens bestimmte sie über meinen Kopf hinweg (weil sie als Erwachsene ja mehr Lebenserfahrung besaß). Aber selbst, wenn sie mich einmal fragte, was ich persönlich möchte, so hatte meine Meinung letztlich keinerlei Bedeutung.

Sie entschied prinzipiell immer das Gegenteil von dem, was ich wollte. Wäre ihre Entscheidung zufällig gefallen, dann wären wir zumindest einige Male der gleichen Meinung gewesen. Doch das war nie der Fall. Als Erwachsene musste sie auch keine logischen Argumente für ihre Entscheidung vorbringen. Ein „Ich will es jetzt so“ reichte völlig aus. Schließlich musste ich darüber nachdenken, warum Sie mich überhaupt nach meiner Meinung fragte, wenn diese ohnehin keine Rolle spielte?

Einige Male wählte sie also bewusst die gegenteilige Meinung von mir. Stimmten meine Gedanken nicht mit ihrer Vorstellung überein, hat sie diese einfach völlig ignoriert. Das tat sie so oft, dass es später völlig automatisch geschah. Sie ignorierte meine Meinung, weil sie es immer tat. So war es letztlich nicht einmal mehr böswillig, weil meine Meinung es nicht einmal mehr bis in ihr Bewusstsein schaffte. So gefährlich können automatische Reaktionen sein!

Die Macht des Unterbewusstseins

Nur eine Aktion reicht selten aus, jedoch lernen wir durch Wiederholung. Wird eine Handlung immer wiederholt, wandert diese langsam als Programm in unser Unterbewusstsein und läuft irgendwann automatisch ab.

Manchmal verknüpft unser Unterbewusstsein auch verschiedene Handlungen und Reaktionen, selbst wenn diese in keinem Zusammenhang stehen. Dazu ein Beispiel:

Feiertage sind schlecht

Feiertage (speziell Weihnachten und Ostern) sind Tage, an denen die Familienmitglieder mehr Zeit füreinander haben und daher auch mehr Zeit miteinander verbringen. In meinem Fall führte dieser Kontakt (möglicherweise auch aufgrund eines seelischen Traumas der Mutter) regelmäßig zu heftigen Streitigkeiten. Nach einigen Jahren hatte ich mich daran gewöhnt, dass es an solchen Tagen immer wieder zu nichtigen Streitigkeiten kam. Ich empfand alle anderen Tage des Jahres als wesentlich friedvoller, als jene Feiertage, die man zusammen mit der Familie verbringt. Ich mochte den Streit nicht.

Ich kenne auch Geschichten von anderen Menschen, die am Wochenende in eine Depression verfallen, weil sie dann nicht mehr von ihren Problemen abgelenkt sind. Arbeitsfreie Tage sind die Hölle, weil sie dann nicht mehr durch ihre Arbeit abgelenkt sind und sich daher mit ihren eigenen Problemen beschäftigen müssen.

Ich bin wertvoll: Das glaubte ich einfach nicht

Später gab es Zeiten, in denen mir andere Menschen meinen Wert bestätigten. Doch weil das eigene Selbstwertgefühl fehlte, hielt diese Bestätigung nie sehr lange an. Ganz ehrlich: Das lag daran, dass ich es nicht völlig glauben konnte. Niemand glaubt Dinge, von denen er nicht absolut überzeugt ist. Das war bei mir (leider) nicht anders …

Schöne Zeiten

Natürlich gab es auch sehr viele schöne Zeiten, welche meine Kindheit trotz all dieser Erfahrungen zu einer sehr angenehmen Zeit gestalteten. Genau diese schönen Zeiten täuschten jedoch über die gewaltigen Probleme hinweg, die sich hier ansammelten.

Soziale Phobie und die Lösung

Nach dem hier Beschriebenen ist nun sicher deutlicher, dass der Alltag eines solchen Kindes (in diesem Fall mir) zwangsweise zu deutlichen Störungen im Selbstwertgefühl führen muss. Für die Lösung des Problems ist es jedoch notwendig, die Ursachen zu erforschen.

Die meisten Menschen verzichten darauf, weil sie dieses unangenehme Gefühl lieber vermeiden. Um den Schmerz heilen zu können, ist es jedoch notwendig, sich den Ursachen zu stellen. Wer beispielsweise mit einem Messer niedergestochen wird, der wird sich auch helfen lassen. Niemand käme auf die Idee, für das restliche Leben mit einem Messer im Körper herumzulaufen und auf jede diesbezügliche Frage abwehrend zu reagieren, weil er nicht daran erinnert werden möchte.

SelbstWert+ Coaching

Die Schuldfrage

Wer sich mit den Ursachen seiner sozialen Phobie beschäftigt, der wird früher oder später herausfinden, wie diese entstanden ist. Eine Schuldzuweisung ist jedoch weder notwendig noch sinnvoll. Denn wem Sie die Schuld geben, dem geben Sie die Macht!

Es ist klar, dass Aggressionen entstehen, sobald die Ursachen ans Tageslicht kommen. Aber die Aggressionen sollten keinesfalls zu viel Energie erhalten. Wer Schwierigkeiten damit hat, der kann versuchen, eine Grabrede für den Verursacher zu schreiben, auch wenn dieser noch lebt. Warum? Weil man nicht schlecht über Tote spricht und so gezwungen ist, auch die positiven Seiten eines Menschen herauszufinden.

Nachwort

Auf ähnlich brutale Weise, wie sich das Selbstvertrauen eines Menschen völlig zerstören lässt, kann man auch ultimatives Selbstvertrauen erschaffen, das einem ein völlig selbstbestimmtes und uneingeschränktes Leben ermöglicht. Das ist eine ganz andere Geschichte, doch so viel möchte ich verraten: Jeder, der über den ersten Weg sein Selbstvertrauen verloren hat, kann sich entscheiden, auch den zweiten Weg zu gehen. Es gibt keine Bestimmung, die das verhindert. Es ist Ihre Entscheidung!

In meinem Kindle-Buch „Anleitung, wie Ihre Kinder unglücklich werden“ habe ich häufige elterliche „Ausrutscher“ auf humorvolle Weise näher beleuchtet. Letztendlich sind alle elterlichen Reaktionen nur das Ergebnis des Versuchs, für das eigene Kind das Beste zu tun. Das zu verstehen, gibt betroffenen Kindern die Möglichkeit, ihnen zu vergeben.

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Von Rudolf Lechleitner am 18.01.2016

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